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Folge 2: Der Neue

Aktualisiert: 28. März 2023


Willkommen bei Eisenwald. Diese Worte hallten in Aedans Kopf nach. Nachdem Artemov ihn willkommen geheißen und sich die Aufregung gelegt hatte, waren er und Anastasia in ein Nebenzimmer gegangen, um die Aufnahme offiziell zu machen. Aedan saß bereits eine ganze Weile da und beobachtete Anastasia, während sie die königlichen Papiere ausfüllte. Jedes Mitglied einer Magiergilde musste sich registrieren lassen.


So! Fertig. Jetzt musst du nur noch hier hinten unterschreiben.“ Anastasia schob einen dicken Stapel Papier über den Tisch und hielt Aedan eine Feder entgegen. Er nahm die Feder, tunkte sie in Tinte und schrieb seinen Namen auf das Dokument.


Wie viele Seiten sind das bitte?“ Aedan staunte über die Anzahl an Blättern vor ihm.

Knappe siebzig Seiten.“ Anastasia nahm die Papiere, unterschrieb selbst und mit einer schnellen Handbewegung verwandelte sie die siebzig Seiten Dokumente in einen kleinen Vogel aus Papier. Der Dokumentenvogel schwirrte einmal um Aedans Kopf herum, bevor er aus einem geöffneten Fenster davonflog. „Jetzt musst du dir nur noch überlegen, wo du dein Gildenzeichen haben möchtest. Ich bereite den Stempel vor, du kannst dir ja währenddessen eine Stelle überlegen.“ Aedan wusste recht schnell, wo er das Zeichen haben wollte.


Wer waren eigentlich diese beiden Magier, die angefangen haben zu kämpfen, nachdem dieses Eichhörnchen geschossen hatte?“ Aedan waren diese beiden Magier im Gedächtnis geblieben. Es überraschte ihn, dass Magier Waffen benutzten.


Das Eichhörnchen war Ratatoskr. Er ist eigentlich ein ziemlich lieber Kerl, nur ist er leider auch sehr leicht reizbar.“ Anastasia schüttete einige Flüssigkeiten in eine Phiole und eine kleine Rauchwolke stieg auf. „Der andere war Kenji Nakamura. Er würde es zwar nie zugeben, aber er und Ratatoskr mögen sich sehr, auch wenn sie ständig streiten.“


„Einen Scheißdreck mag ich diesen schwertschwingenden Idioten.“ Aedan drehte sich zur Tür und sah Ratatoskr das Eichhörnchen der sich gegen den Türrahmen lehnte. „Wie weit bist du Frischling? Ich soll dir alles zeigen. Befehl vom Meister.“


Wir sind gleich fertig. Nur noch das Gildenzeichen fehlt.“ Anastasia brachte einen Stempel und die Phiole mit der zusammengebrauten Flüssigkeit zu Aedan. „Und? Hast du dich entschieden?“


Ja. Ich möchte es hier an diese Stelle.“ Aedan zeigte mit seinem Zeigefinger auf seinen Hals, direkt unterhalb des rechten Ohres. Er wollte, dass jeder sofort sehen konnte, dass er Teil dieser Gilde war. Anastasia schüttete einige Tropfen auf den Stempel und drückte ihn an die Stelle, die Aedan gezeigt hatte. Das starre Holz des Stempels schmiegte sich plötzlich an seine Haut, als wäre der Stempel für genau diese Stelle gemacht worden. Er spürte, wie ein heißer Schmerz an dieser Stelle aufkam und zuckte kurz zusammen, während ihm ein kurzes „Aua!“ über die Lippen kam.


Ha! Weichei...“ Das Eichhörnchen sprang auf einen Stuhl, der neben Aedan stand und grinste ihn frech an. „Hast du dann jetzt genug rumgeheult, oder willst du noch ein bisschen nach deiner Mami rufen?“


Meine Mutter ist tot.“ Das Grinsen des Eichhörnchen war so schnell verschwunden, wie es gekommen war.


Tut mir leid...“ Ratatoskr nuschelte die Worte vor sich hin. Es war ihm anzusehen, dass es ihm peinlich war in so ein Fettnäpfchen getreten zu sein.


Schon gut...konntest du ja nicht wissen.“ Aedan sprach die Worte, doch in ihm sah es anders aus. Er hatte lang gebraucht, bis er über den Verlust seiner Mutter hinweg kam. Dieses dumme Eichhörnchen riss nun alte Wunden wieder auf. „Ich danke dir Anastasia.“ Aedan ging nun wortlos an Ratatoskr vorbei und wartete erst, als er die Tür erreicht hatte. „Was ist jetzt? Ich denke, du sollst mir alles zeigen?“ Der überraschte Ratatoskr brauchte einen Moment um zu realisieren, dass er gemeint war, doch dann sprang er von dem Stuhl herunter und kam zu Aedan. Sie liefen einen Gang entlang, der sie wieder in den großen Hauptsaal der Gilde brachte, wo mittlerweile weniger los war. Von dem Chaos von vorhin war nichts mehr zu sehen und niemand schien es zu interessieren, dass man sich noch kurz zuvor mit seinem Nebenmann geprügelt hatte. Ratatoskr ging Zielstrebig auf eine Tafel zu, die neben der Bar stand.


Ds hier ist das schwarze Brett. Das ist der wichtigste Teil der Gilde und der, den du am meisten besuchen solltest.“ Ratatoskr stand wie ein Lehrer vor der Tafel und zeigte auf einige Zettel, die darauf angebracht waren. „Hier kriegst du Aufträge, mit denen du Geld verdienen kannst. Je schwerer der Auftrag, umso mehr Geld gibt‘s auch.“ Aedan schaute die Aufträge an und sah, dass sie mit einem Stempel markiert worden waren. Diese Markierungen bestanden aus Buchstaben von A bis E. Er fragte sich, was diese Markierungen zu bedeuten hatten.


Kann ich einfach jeden Auftrag annehmen und dafür das Geld kassieren?“ Aedan schaute sich gerade einen Auftrag an, für den es einhunderttausend Taler gab. Er war mit einem roten A markiert worden.


Natürlich nicht!“ Ratatoskr verschränkte die Arme und rollte mit den Augen. „Du bist schließlich ein Anfänger. Du musst einen Auftrag zu Rodric bringen und der entscheidet danach darüber, ob du für den Auftrag bereit bist, oder nicht. Außerdem muss er dann eine Nachricht an die Königliche Handelskammer schicken, dass der Auftrag von dir übernommen wird. Braucht ja alles seine Richtigkeit.“ Ratatoskr rollte bei diesen Worten wieder mit den Augen.


Rodric entscheidet? Ich dachte, er macht nur die Bar.“ Aedan schaute zu dem Barmann, der pfeifend und sichtlich gut gelaunt einen Cocktail mixte. Dabei flogen mehrere Flaschen um seinen Kopf, während ein Cocktailshaker gerade mit Eiswürfeln befüllt wurde, die eine fliegende Schöpfkelle hieninschaufelten. Rodric stand inzwischen nur da und wedelte mit den Händen, wie ein Dirigent.


Oh nein. Rodric ist ein verdammt starker Magier.“ Ratatoskr war nun auf einen Hocker gesprungen, der ganz in der Nähe stand. „Jeder hier weiß, dass er der heißeste Kandidat für die Nachfolge des Alten ist, sobald der mal die Hufe hoch macht.“ Aedan schaute verständnislos zu Ratatoskr, der zur Verdeutlichung dessen, was er gemeint hatte mit dem Daumen eine gerade Bewegung über seine Kehle machte. „Früher hat sich der Meister um die Zuteilung der Aufträge gekümmert, aber er ist halt nicht mehr der Jüngste. Rodric hat ihm angeboten für ihn einzuspringen, als er längere Zeit krank war und seitdem ist es so geblieben. Aber lass dich von seinem Aussehen nicht täuschen. Es heißt, mit seiner Telekinesemagie könne er einen ganzen Berg auf dich schleudern. Er ist ein furchterregender Gegner, auch wenn er wie ein Idiot aussieht.“ Ratatoskr wurde plötzlich von einer fliegenden Tasse getroffen, die ihn fast von seinem Hocker warf. Als er sich umdrehte, war Rodric gerade dabei den fertigen Cocktail in ein Glas zu schütten. Aedan musste grinsen. „Jedenfalls würde es mich wundern, wenn du etwas besseres als einen E-Rang Auftrag erledigen dürftest. Die E-Ränge sind so einfach, dass jeder Vollidiot sie schaffen kann. Dafür bringen sie aber auch das wenigste Geld.“ Ratatoskr rieb sich seinen Hinterkopf, an der Stelle, an der ihn die Tasse erwischt hatte. „Das Höchste am Schwarzen Brett sind die A-Rang Aufträge. Die bringen richtig gut Kohle ein, aber das meiste Geld gibt es für S-Rang Aufträge. Aber die kannst du sofort vergessen.“


Wieso?“ Aedan fragte sich, welchen Rang Ratatoskr hatte.


Ganz einfach. Die Ränge werden nach können vergeben. Ich zum Beispiel darf alles bis zum B-Rang annehmen. Aber S-Rang Aufträge werden vom Meister persönlich verteilt. Die kriegen nur die Besten der Besten und zu denen gehörst du ganz sicher nicht dazu.“ Ratatoskr hatte eine seiner Pistolen rausgeholt, während er erzählte und wirbelte sie wie ein Revolverheld umher. Er wollte wohl Aedan beeindrucken, doch das gelang ihm nicht wirklich.


Was muss man denn können, um einen Rang aufzusteigen?“ Aedan fragte sich, ob es eine Art Prüfung gab, oder ob Rodric einfach irgendwann verkünden würde, dass er nun als würdig erachtet sei.


Um ehrlich zu sein hab ich keine Ahnung. Ich denke man muss halt einfach stark sein und sich beweisen. Mein Ziel ist es jedenfalls schneller zum S-Rang Magier zu werden, als dieser blöde Kenji.“ Beim letzten Satz war Ratatoskr auf seinem Hocker aufgestanden und atmete nun schwer vor Wut. Aedan hatte Angst, dass das kleine Eichhörnchen gleich einen Anfall wegen zu hohem Blutdruck bekommen würde. Soweit kam es jedoch nicht, denn Ratatoskr atmete tief durch und beruhigte sich wieder. „Was kannst du eigentlich?“


Bitte?“ Aedan war verwirrt. Hatte ihm Ratatoskr gerade eine Frage gestellt, oder hatte er ihn beleidigt?


Deine Magie. Was kannst du?“ Jetzt verstand Aedan.


Achso! Ich bin ein Elementarmagier.“ Aedan öffnete seine Handfläche und eine Flamme erschien darin. Daraufhin schloss er die Hand und die Flamme erlosch, während er einen leichten Lufthauch erzeugte, der Ratatoskrs Fell zerzauste. „Ich beherrsche Feuer, Wasser, Erde und Luft. Die vier Elemente und jede ihrer Formen.“


Hrmph...Spielerei...“ Ratatoskr strich sein Fell glatt und sah erneut wütend aus, doch diesmal blieb ein Wutanfall aus. „Ich bezweifle, dass du damit wirklich stark werden kannst. Ich zum Beispiel beherrsche Eichelmagie.“ Aedan musste sich ein Lachen verkneifen. „Die Eicheln, die ich mit meiner Pistole verschieße kann ich mit verschiedenen Effekten ausstatten. Ich verfüge über ganz normale Eicheln, über Feuereicheln, Schockeicheln...“ Je mehr Ratatoskr aufzählte, umso mehr musste Aedan sein Lachen zurückhalten. Er wusste zwar, worüber das Eichhörnchen sprach, aber es klang dennoch sehr zweideutig.


Und was kann dieser Kenji?“ Aedan hatte nicht nachgedacht. Ratatoskr war sofort wieder auf einhundertachtzig.


Kenji? Dieser schwertschwingende Depp brüstet sich damit, dass er jede existierende Klingenwaffe der Welt beschwören kann. Katanas, Langschwerter, Speere, Äxte... Solange es eine Klinge hat, kann er es heraufbeschwören.“


„Wenn ich das richtig im Kopf habe, dann liegt eure Kampfbilanz bei einundsiebzig zu siebzig Siegen für Kenji, oder nicht?“ Rodric hatte sich in das Gespräch eingemischt. Er hatte aufgehört seine Hände umher zu schwenken, als würde er dirigieren und lehnte nun lässig über die Bar.


Nein! Es herrscht immer noch Gleichstand! Der Kampf heute zählt nicht, den hat der Meister beendet.“ Ratatoskr war nun auf die Bar gesprungen und hatte sich vor Rodric aufgebaut.


Nimm deine schmutzigen Füße von meiner frisch geputzten Bar.“ Ein Berg aus Putztüchern flog auf Ratatoskr zu und riss ihn von der Bar. Das Eichhörnchen lag am Boden und versuchte wieder aufzustehen, doch die Putztücher nagelten ihn fest. „Ich freue mich schon zu sehen, was du kannst, Aedan.“ Rodric stellte ihm ein Glas vor die Nase. „Das ist mein Eisenwaldspezialcocktail. Ich hoffe, er schmeckt dir.“ Aedan begutachtete das Glas. Die Flüssigkeit darin sah seltsam giftgrün aus und hatte eine Schaumkrone, die seltsamerweise mit braunen Flecken durchzogen war. Eine Blubberblase bildete sich und als sie platzte stieg eine kleine Rauchwolke daraus auf. Aedan hatte kein gutes Gefühl, doch wollte er Rodric nicht beleidigen, indem er das Getränk ablehnte. Er schluckte und machte sich bereit das Gebräu zu trinken. Er setzte den Strohhalm an die Lippen und zog, so fest er konnte. Als die Flüssigkeit seinen Mund füllte, explodierte darin eine Geschmacksmischung, die seine Sinne betäubte. Er schluckte das Getränk so schnell er konnte hinunter und spürte, wie ihm etwas abwechselnd heiß und kalt die Speiseröhre hinunter floss, bis es schließlich in seinem Magen ankam. Auf der Stelle wurde ihm schlecht und er fürchtete sich übergeben zu müssen, doch alles, was aus ihm rauskam, war ein gewaltiger Rülpser. Rodric begann zu lachen. „Respekt! Ich hätte erwartet, dass du dich übergeben musst. Ratatoskr musste sogar zweimal aufs Klo rennen, weil er nach dem Kotzen auch noch Durchfall bekommen hatte.“ Ratatoskr wollte etwas entgegnen, doch ein zweiter Cocktail kam angeflogen und zwang das Eichhörnchen dazu, ihn zu trinken. Ein Eimer kam nun ebenfalls angeflogen und stellte sich neben Ratatoskr, der nun leicht grün im Gesicht aussah. „Ich freu mich schon darauf zu sehen, wie du diese beiden prügelnden Idioten in ihre Schranken weist.“ Rodric grinste, als Ratatoskr sich wie als Antwort auf dessen Bemerkung in den Eimer übergab. Aedan wurde von dem Geräusch und dem damit verbundenen Geruch selbst schlecht, doch er zwang sich den getrunkenen Cocktail drin zu behalten.


Ich hab mir noch gar keine Gedanken gemacht, wo ich heute schlafen soll.“ Aedan war aus einem Impuls heraus nach Gonduin gekommen. Er hatte alle seine Sachen gepackt und hatte sein gesamtes Geld für die Überfahrt ausgegeben. Nun hatte er nichts weiter, als die Kleidung, die er trug, ein Buch, in dem einige Zaubersprüche aufgeschrieben waren, die er zu lernen versuchen wollte und ein Amulett, das laut der Aussage seiner Mutter einst seinem Vater gehört haben soll. Er überlegte sich, ob er das Buch gewinnbringend verkaufen könnte, um an etwas Geld zu gelangen, damit er sich ein Zimmer mieten könnte, doch Rodric nahm ihm die Entscheidung ab.


Du kannst dir eine Wohnung mieten, sobald du dein eigenes Geld mit den Aufträgen verdienst, doch bis es so weit ist, kannst du ein Zimmer hier in der Gilde beziehen. Es ist nichts besonderes. Ein Bett und ein Tisch mit einem Stuhl, aber es ist zumindest ein Dach über dem Kopf.“ Ratatoskr hing weiterhin über dem Eimer und musste sich übergeben. Ein Waschlappen kam angeflogen und wischte dem Eichhörnchen ein wenig grüne Kotze aus dem Gesicht.


Danke. Ich hätte nicht gewusst, wo ich hin sollte.“ Aedan musste wegsehen, denn der Anblick von Ratatoskr war zu viel. Nicht, dass er sich hätte übergeben müssen. Inzwischen war sein Magen beruhigt. Es war einfach viel zu lustig dieses vorlaute Eichhörnchen zu sehen, wie es plötzlich nicht mehr so aufbrausend war.


Das wissen die wenigsten, die hierher kommen. Sobald deine Bewerbung von der Königlichen Handelskammer angenommen wurde, kannst du auch schon deinen ersten Auftrag erledigen.“ Rodric ließ einen weiteren Eimer herbeifliegen und tauschte ihn gegen den Ersten. Das war jedoch nicht nötig, denn Ratatoskr sprang auf und rannte nun in Richtung Toilette.


Wie lang wird das ungefähr dauern?“ Aedan wusste nicht, dass die Aufnahme in der Gilde mit so viel Bürokratie verbunden war. Er dachte, dass man vom Meister akzeptiert wird und dann war es das.


Das kommt ganz darauf an. Das kann manchmal recht schnell gehen und in drei Tagen erledigt sein, oder du hast Pech und du musst länger warten. Harvey da drüben wartet schon seit zwei Jahren auf seine Genehmigung.“ Aedans Grinsen, das er noch hatte, als Ratatoskr auf dem Klo verschwand, wurde blitzartig zu einer verzogenen Grimasse. Er fürchtete Schlimmes. Wenn dieser andere Magier schon seit zwei Jahren auf seine Erlaubnis wartete, wie lang müsste er dann warten?



Fortsetzung folgt.




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