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Die Reise durchs Wohnzimmer

Die folgende Kurzgeschichte entstand durch die monatliche Kurzgeschichtenumfrage
Thema war: Die Spielfigur eines Gesellschaftsspieles erlebt ein Abenteuer



„Und fertig. Ich hab gewonnen.“ Tom klatschte triumphierend in die Hände
„Ach so ein Mist! Ich wär auch fast fertig gewesen.“ Jennifer verschränkte die Arme und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück.
„Ach komm. Das Spiel heißt Mensch ärgere dich nicht. Jetzt schmoll nicht so rum, sondern lass uns noch eine Runde spielen.“ Elena grinste und goss sich noch ein Glas Wein ein.
„Lieber nicht. Ich muss morgen früh raus und wenn Jennifer noch mal verliert krieg ich das nur zu Hause wieder ab.“ Paul lachte als er einen bösen Blick von seiner Freundin erhielt. Die vier Freunde beendeten ihren Spieleabend und räumten gemeinsam den Tisch auf. Jeder warf seine Spielfiguren zurück in die Schachtel, doch eine der Figuren traf die Kante der Box und prallte davon ab. Der Fall war nicht lang, doch unterwegs traf die Figur ein Stück des Stuhles und wurde dadurch weggeschleudert. Die kleine, grüne Spielfigur blieb letztendlich unter dem Sofa liegen und niemand bemerkte, dass sie fehlte. Sie konnte unter dem Sofa nur beobachten, wie die vier Freunde den Tisch verließen und alle anderen Figuren in der Kiste auf dem Tisch lagen. Die Figur schüttelte sich und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Es half nichts, denn es gab nur eine Möglichkeit. Sie musste durch das Wohnzimmer und zu ihrer Box zurückkehren. Also hüpfte sie los. Der Weg unter dem Sofa war nicht sehr weit, doch musste sich die Figur durch Staub und Fussel kämpfen. Es war schon länger nicht mehr gesaugt worden. Total verdreckt schaffte es die Figur unter dem Sofa hervorzukommen und befand sich nun auf offenem Terrain. Vor ihr war ein Teppich, den sie überqueren musste. Sie hüpfte weiter und kämpfte sich durch die roten Flusen, aus denen der Teppich bestand. Da erschrak die Figur und blieb wie angewurzelt stehen. Eine Spinne kam auf sie zu. Ihre langen dünnen Beine ragten bedrohlich aus dem Teppich hervor. Die Spinne kam immer näher und die Figur bekam es mit der Angst zu tun, doch das Ungetüm lief, ohne die Figur zu beachten einfach an ihr vorbei. Die Figur atmete auf und hüpfte weiter. Sie hatte gerade den Rand des Teppichs erreicht, als die Bewohner der Wohnung wieder zurückkamen.
„Ich reiß kurz die Fenster auf. Hier riecht es immer noch nach dem Essen.“ Tom ging zum Fenster. Draußen war es kalt, denn es war tiefster Winter. Die frische Luft strömte hinein und fiel sofort zu Boden, wo sie eine Wand aus kaltem Nebel formte, der langsam auf die Spielfigur zukroch. Die Figur begann vor Kälte zu zittern und hüpfte unter den Teppich. Auf diese Weise vor der Kälte geschützt beschloss die Figur zu warten. Sie wusste, dass die Menschen die Fenster nie lange geöffnet ließen, solang es draußen so kalt war. Es konnten höchstens fünf oder zehn Minuten sein, die die Figur warten musste.
„Ich saug eben noch schnell. Hier siehts furchtbar aus mit den ganzen Chipskrümeln.“ Elena startete den Staubsauger und das Gerät begann zu saugen. Die Figur bekam Panik. Der monströse Apparat fuhr über den Teppich und die kleine Figur zitterte darunter. Sie konnte spüren, wie das Gerät wieder und wieder über sie hinweg fuhr. Der Lärm war Ohrenbetäubend. Die kleine Spielfigur wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich wieder in ihrer Schachtel zu sein. Sie wusste nicht, wie lang sie sich schon versteckte, doch irgendwann hörte Elena auf zu saugen. „Ist das kalt hier. Ich mach schnell den Heizlüfter an.“ Die kleine Figur kam gerade aus ihrem Versteckt, als Elena den Heizlüfter einschaltete. Die Kälte verschwand und plötzlich musste die kleine Spielfigur gegen heiße Winde ankämpfen. Es war fast so, als wäre sie auf dem Weg durch eine Wüste gewesen, doch Schritt für Schritt kämpfte sie sich tapfer vorwärts. Jedes Mal, wenn der sich Heizlüfter drehte, hatte sie ein kurzes Zeitfenster, um so schnell sie konnte vorwärtszukommen. Es fehlte nicht mehr viel und sie hätte den Lüfter passieren können, doch dann drehte sich das Gerät und die Spielfigur war dem heißen Wind schutzlos ausgeliefert. Sie hatte ihre ganze Kraft aufgebraucht und so schaffte sie es nicht sich festzuhalten. Sie fiel um und durch den Wind rollte sie wieder zurück unter das Sofa. Die Spielfigur wurde traurig. Sie war wieder dort, wo sie angefangen hatte. Würde sie ihre Familie je wieder sehen? Oder würde sie unter dem Sofa bleiben müssen, bis sie eines Tages vom Staubsauger eingesaugt und danach weggeschmissen werden würde. Würden Tom und Elena sie überhaupt vermissen?
„Hey, da fehlt eine Figur.“ Die kleine Spielfigur war plötzlich hellwach. Tom hatte bemerkt, dass sie fehlte. Mit letzter Kraft versuchte die Figur unter dem Sofa erneut hervorzukommen, doch kurz vor dem Ziel bekam die Figur es mit der Angst zu tun. Die Katze saß vor dem Sofa und schaute die Figur mit ihren großen gelben Augen an. Die schwarzen Pupillen verengten sich und eine krallenbewehrte Pfote versuchte die Figur zu erreichen. Die Figur verspürte Todesangst.
„Hey, Rocky! Was machst du denn da?“ Die Katze protestierte, als Elena sie hoch nahm. Die Figur war erleichtert, doch noch immer wussten die Menschen nicht, dass sie unter dem Sofa lag. In diesem Moment tauchte das Gesicht von Tom auf.
„Ah! Da bist du. Musst wohl beim Aufräumen runtergefallen sein.“ Das Herz der Figur machte einen Hüpfer. Tom hatte sie gefunden und nun griff seine Hand nach der kleinen Figur. Tom brachte sie zurück zu ihrer Schachtel und nachdem er alles überprüft hatte, schloss er den Deckel und stellte die Figur zusammen mit den anderen Figuren, die mit ihr in der Spieleschachtel lagen, zurück in das Regal. Die kleine Figur dachte daran, was für ein Abenteuer sie erlebt hatte. Sie war sich auf jeden Fall sicher, dass sie so schnell nicht noch einmal so etwas erleben wollte.

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