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Lena

Die folgende Kurzgeschichte entstand als Aufgabe von Instagram.

Thema war: Schreibe eine Kurzgeschichte über Toleranz und Akzeptanz zwischen einem Vater und seiner Tochter, wobei die Tochter über übernatürliche Fähigkeiten verfügt.

Ich habe versucht dem ganzen einen neuen Anstrich zu geben, um nicht die Klischeestory "Vater akzeptiert magische Tochter" zu schreiben.



„Was ist ihr Hauptargument, dass die Wähler und Wählerinnen Sie zu Erzmagierin wählen sollten?“ Lena hatte sich auf diesen Tag vorbereitet. Es war der Tag, an dem sie ihre Kandidatur zur Erzmagierin offiziell machte. Sie hatte bereits ihr gesamtes Leben auf diesen Moment hingearbeitet und die magische Gemeinschaft kannte und vertraute ihr. Dennoch war sie ziemlich nervös gewesen, bevor sie sich den Fragen der Reporter gestellt hatte.
„Nun man sollte mich wählen, da ich durch den Posten des Erzmagiers, als die erste Frau in diesem Amt einiges verändern kann und möchte. Die magische Gemeinschaft braucht frischen Wind in ihrer Regierung und ich bin nicht nur bereit, sondern auch in der Lage diesen Umschwung durchzuführen.“ Die Reporterin schien mit der Antwort zufrieden zu sein, denn sie verzichtete auf eine weitere Nachfrage. Eine weitere Meldung eines Reporters ließ Lena aufmerksam werden. Es war ein Reporter eines Klatschblattes, vor dem man sie gewarnt hatte. Sie musste aufpassen, denn alles, was sie sagte, würde von dieser Person gegen sie verwendet werden.
„Wollen sie damit sagen, dass man sie wählen soll, einfach nur weil sie eine Frau sind?“ Da war die Frage, vor der sich Lena fürchtete. Egal, was sie von nun an sagte, es würde bestimmt kein gutes Ende nehmen.
„Ich verstehe nicht, worauf Sie hinaus wollen. Ich habe mit keinem Wort gesagt, dass man mich aufgrund meines Geschlechtes wählen soll.“
„Aber Sie haben gesagt, dass ein frischer Wind nötig ist, der sowieso kommen wird, da sie ja eine Frau sind.“ Lena wusste, dass dieser Typ ihr die Worte im Mund herumdrehte, wie es ihm beliebte. Sie hätte ihm am liebsten einen Verstummungszauber auf den Hals gehetzt, doch das wäre noch schlimmer gewesen, als das, was der Reporter am Ende über sie schreiben würde.
„Wenn sie so wollen, dann ist das eine zwangsläufige Reaktion, wenn das erste mal eine Frau ein Amt einnimmt, das seit Jahrhundert nur von Männern bekleidet wurde. Nächste Frage?“ Lena versuchte einen anderen Reporter zu Wort kommen zu lassen, damit sie aus dieser Situation fliehen konnte, doch der Klatschreporter ließ nicht locker.
„Stimmt das Gerücht, dass ihr Vater ein Nichtmagier war und sie durch ihren überambitionierten Aktivismus nur ihre mangelnden magischen Fähigkeiten überspielen wollen?“ Ein Getuschel erfüllte den Raum und Lena fühlte, wie sich ihr Magen verkrampfte. Woher wusste dieser Kerl von ihrem Vater? Er war seit fünfundzwanzig Jahren tot. Damals stand sie kurz davor ihr Studium der Magie zu beenden.
„Das sind alles nur haltlose Gerüchte. Mein Vater war Magier, ebenso wie meine Mutter und ich. Diese Pressekonferenz ist hiermit beendet.“ Lena wusste, dass das ein Fehler war, doch sie konnte nicht länger den Fragen dieses Reporters ausgesetzt sein. Der Tod ihres Vaters hatte Narben hinterlassen, die niemals hätten aufgerissen werden sollen.

Ein paar Tage später saß Lena am Frühstückstisch. Sie schaute in die Zeitung und der Appetit war ihr schneller vergangen, als die Presse sich auf sie gestürzt hatte. Überall war ihre Pressekonferenz das Hauptgesprächsthema Nummer eins. Jeder schien sich nur noch für ihre Herkunft zu interessieren. Eine Erzmagierin mit einem Nichtmagischen Vater. Das wäre für viele Magier ein Skandal gewesen, der größer gewesen wäre, als alles, was Lena sich hätte vorstellen können. Sie erschrak, als sich ihr Wahlleiter in ihre Küche teleportierte. Er hielt eine Zeitung in der Hand. Es war die gleiche, die Lena den Appetit verdorben hatte.
„Was hast du dir bitte dabei gedacht? Diese Presse ist eine Katastrophe! Woher wusste dieser Kerl überhaupt von deinem Vater?“
„Ich weiß es nicht... Wie sind die Wahlprognosen?“ Lena versuchte das Thema zu wechseln, doch Markus, ihr Wahlleiter schien nur noch wütender zu werden.
„Was glaubst du denn wie die Prognosen sind?“ Markus zauberte eine Tabelle herbei, auf der einige Farbige Linien zu erkennen waren, die für jeden der einzelnen Kandidaten stand. Die Linie mit der Farbe Grün war im Vergleich zu vor der Pressekonferenz massiv eingebrochen. Er gehörte Lena. „Seitdem das publik geworden ist, verschwinden deine Wählerstimmen schneller, als du Abra Kadraba sagen kannst.“
„Und was machen wir jetzt?“ Lena versuchte eine Lösung zu finden, doch ihr fiel nichts ein.
„Keine Ahnung. Ich versuche ein paar Leute zu kontaktieren, die den Schaden eindämmen. Vielleicht verklagen wir diese Presseheinis wegen Verleumdung...muss ja keiner wissen, dass es die Wahrheit ist. Aber als allererstes sollten wir herausfinden, wer der Informant war.“ Markus begann Namen aufzuzählen, doch Lena hatte bereits eine Vermutung.
„Du kannst aufhören Markus. Ich glaube, ich weiß schon, wer ihm von meinem Vater erzählt hat.“ Lena stand auf und begann ihr Frühstück wegzuräumen. Sie hatte es nicht angerührt.


Lena hatte sich vor das Gelände des Pflegeheimes teleportiert. Dieser Ort bereitete ihr jedes Mal Unbehagen. Die Magier unterschieden sich kaum von den Nichtmagiern, außer der Tatsache, dass sie Magie anwenden konnten. Im Alter konnte das jedoch auch zu einem Problem werden. Alte Magier konnten auf verschiedene Arten erkranken, sodass ihre Magie ungehindert aus ihnen herausbrechen konnte. Viele Dörfer waren so schon des Öfteren fast den Flammen zum Opfer gefallen, denn magisches Feuer lässt sich auch mit Magie nicht so leicht löschen. Viel Schlimmer wurde es, wenn zum Alter auch noch Demenz dazukam. Aus diesem Grund war über das gesamte Gelände des Pflegeheimes ein Magiebann gelegt worden, der jegliche Magie unterdrückte. Hier war jeder nichts weiter, als ein gewöhnlicher Mensch. Lena mochte es gar nicht das Gefühl von Machtlosigkeit zu haben, doch sie hatte keine andere Wahl. Ihre Mutter wohnte hier. Sie betrat das Gebäude und ein Pfleger brachte sie zu ihrer Mutter.
„Ihre Mutter baut leider immer weiter ab. Ihre Demenz setzt ihr stark zu und man merkt, dass Sie ihr fehlen. Es wäre besser, wenn Sie sie öfters besuchen kommen würden.“ Lena ließ diese Nachricht unkommentiert und ohne ein Wort zu sagen, folgte sie dem Pfleger den Gang entlang. Als sie das Zimmer ihrer Mutter betrat, fühlte Lena sich schlecht. Das letzte Mal war sie vor zwei Jahren hier gewesen. Damals hatte sie ihre Mutter kaum erkannt. Sie fürchtete sich davor, wie es diesmal sein würde.
„Wer ist da?“ Lenas Mutter schaute sie mit großen, verwirrten Augen an.
„Ich bin es Mutter...Lena.“ Lena setzte sich auf einen Stuhl, der an einem Fenster stand.
„Lena! Wie war es in der Schule? Hast du deine Elementarmagieprüfung bestanden?“ Das Gesicht ihrer Mutter hellte auf und es war klar zu erkennen, dass sie sich freute. Lena versetzte es einen Stich ins Herz. Ihre Elementmagieprüfung hatte sie abgeschlossen, als sie fünfzehn war. Das war knapp fünfundzwanzig Jahre her.
„Ja Mutter. Ich habe bestanden. Mein Prüfer meinte sogar, ich sei die beste Magierin, die er je geprüft hatte.“ Das stimmte sogar. Lena erinnerte sich an diesen Tag und wie sie stolz nach Hause kam, um ihren Eltern davon zu erzählen. Ihr Vater war jedoch nicht da und kam auch nie wieder. Er starb an diesem Tag.
„Ich bin so stolz auf dich mein Schatz. Dein Vater wusste, dass du es schaffen würdest. Er ist in das Einkaufszentrum gegangen und sucht gerade ein Geschenk für dich aus. Es sollte eigentlich eine Überraschung werden, aber er ist leider noch nicht zurück.“ Lenas Mutter bekam einen besorgten Blick, als sie Lena weinen sah. „Was ist denn los mein Kind?“
Lena konnte nichts mehr sagen. Sie rannte aus dem Zimmer, ohne sich von ihrer verwirrten Mutter zu verabschieden. Sie rannte so schnell sie konnte. Sie wollte runter von dem Gelände und sobald sie den ersten Fuß auf die Straße setzte und ihre Magie zurückkehren spürte, teleportierte sie sich schnellstmöglich wieder nach Hause. Als sie in ihrem Schlafzimmer ankam, brach es vollkommen aus ihr heraus und sie verbrachte den restlichen Tag damit zu weinen.


„Und du bist sicher, dass du das durchziehen willst? Du weißt, dass das auch komplett nach hinten losgehen kann.“ Markus hatte bedenken, doch Lena hatte einen klaren Entschluss gefasst. Ganz egal, wie es weitergehen würde, sie musste jetzt tun, was sie vorhatte zu tun.
„Ja, ich bin mir sicher. Wenn die Leute mich deshalb nicht mehr wählen wollen, dann ist die Magische Gemeinschaft sowieso verloren.“ Lena atmete tief durch und trat ans Rednerpult, vor dem bereits die hungrige Reportermeute versammelt war. Ohne Umschweife begann sie ihre Rede zu halten.
„Meine verehrten Damen und Herren Reporter. Verehrte Mitglieder der Magischen Gemeinschaft. Ich stehe heute hier, um einige Gerüchte um meine Person aus der Welt zu räumen. Wie Sie alle wissen, kam es vor einigen Tagen zu einem Eklat, während einer meiner Pressekonferenzen. An diesem Tag wurde mir unterstellt, dass ich die Tochter eines Nichtmagischen Vaters wäre. Dieses Gerücht entspricht der Wahrheit. Mein Vater war in der Tat Nichtmagier. Ich frage sie jedoch, macht ihn das zu einem schlechteren Menschen? Färbt sich seine Unfähigkeit Magie zu wirken auf mich ab und disqualifiziert mich daher für den Posten des Erzmagiers? Ich weiß nicht, wie Sie das sehen, doch ich bin der Meinung, dass nichts von alldem der Wahrheit entspricht. Im Gegenteil sogar. Mein Vater war, trotz, oder gerade wegen seiner Gewöhnlichkeit der beste Vater, den ein junges Mädchen sich je hätte wünschen können. Es ist mir bewusst, dass es besser gewesen wäre, direkt mit offenen Karten zu spielen, doch viele von Ihnen fragen sich bestimmt, wieso ich meine Herkunft bisher verschwiegen habe. Ich möchte Ihnen kurz eine Geschichte erzählen. Sie handelt von meinem Fünfzehnjährigen selbst, welche gerade die Elementmagieprüfung bestanden hatte. Meine Eltern wussten, dass ich bald nach Hause kommen musste, doch als ich ankam, war nur meine Mutter vor Ort. Mein Vater war nirgendwo zu finden. Ich war enttäuscht, da dieser Tag für mich extrem wichtig war. Am Abend erfuhren wir von einem Anschlag auf das magische Einkaufszentrum und einige andere Orte. Sie wissen von den Anschlagsserien der Schwarzmagieterroristen und Sie wissen auch von den Opfern, die an jenem Tag sterben mussten. Was sie jedoch nicht wissen, ist, dass an jenem Tag mein Vater ebenfalls unter den Opfern war. Das einzige Nichtmagische Opfer war mein Vater und ich machte ihm bis heute Vorwürfe, dass er an jenem Tag nichts besseres zu tun hatte, als an einem dieser Orte zu sein, anstatt Zuhause auf mich zu warten. Das war der Grund, weswegen ich ihn und meine Herkunft geleugnet habe. Was ich bis vor kurzem nicht wusste, und erst kürzlich von meiner demenzkranken Mutter erfahren habe ist, dass mein Vater an jenem Tag nicht ohne Grund in dem Einkaufszentrum war. Er hasste es, diesen Ort zu besuchen. Die magische Gemeinschaft ist stark an diesem Ort und Nichtmagier haben es schwer sich in einer Gesellschaft zurechtzufinden, die darauf ausgelegt ist Magie zu beherrschen. Dennoch versuchte er ein Geschenk für mich zu finden, da er an mich geglaubt hatte und wusste, dass ich die Prüfung bestehen würde. Er hat mich immer gelehrt, dass jeder, unbeachtet von Herkunft, Talent oder anderer Voraussetzungen, alles erreichen kann, wenn man nur hart genug dafür arbeitet. Ich habe danach gelebt und für meine Ziele hart gearbeitet und stehe nun hier , um als Erste Frau in der Geschichte der magischen Gemeinschaft den Posten des Erzmagiers einzunehmen. Ich möchte mit diesem Posten ein Zeichen setzen. Nicht dadurch, dass ich einfach nur eine Frau bin, sondern dass ich eine Erzmagierin sein werde, die sich für Toleranz, Akzeptanz und vor allem Gleichberechtigung einsetzt. Am Ende unseres Lebens unterscheiden wir uns nicht mehr sonderlich von den Nichtmagiern, denn am Ende sind wir alle auch nur Menschen. Ich stehe also heute hier vor ihnen und sage mit erhobenem Haupt: Ja ich bin die Tochter eines Nichtmagiers und ich bin verdammt stolz darauf. Treffen Sie am Wahltag ihre Entscheidung, wie auch immer diese ausfallen wird, doch bedenken Sie bitte eines. In jedem Stammbaum wird man durchaus den ein oder anderen Nichtmagier finden können und ich bin der Meinung, dass uns als Gesellschaft als Ganzes nichts besseres passieren kann. Vielen Dank.“ Als Lena ihre Rede beendete und sie wieder das Pult verließ herrschte Stille im Pressesaal. Sie wusste nicht, wie die Wahl ausgehen würde, doch sie war zufrieden.

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