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Folge 4: Der König der Ratten

Aktualisiert: 3. Apr. 2023

Die Nacht war kurz, aber angenehm. Aedan hatte eine kleine Kammer im hinteren Teil des Gildengebäudes bekommen. Das Zimmer war gerade groß genug, dass ein Bett, ein Tisch und ein Stuhl darin Platz hatten, aber Aedan fand es ausreichend. Es erinnerte ihn an die Koje, die er auf der Schifffahrt bezogen hatte. Aedan streckte sich und machte sich auf den Weg zum Hauptraum der Gilde. Er war fest entschlossen seinen ersten Auftrag auszusuchen, denn zu seiner Überraschung kam am Abend zuvor die Nachricht, dass seine Gildenaufnahme akzeptiert wurde. Als Aedan den Hauptsaal betrat, war bereits wieder alles, wie am Tag zuvor. Obwohl es noch frühester Morgen war, waren bereits sehr viele Gildenmitglieder an den Tischen und aßen und tranken. Es roch nach Speck und Eiern und Rodric ließ einige Teller und Tassen durch die Luft fliegen.


Guten Morgen Aedan! Kaffee?“ Eine Kaffeekanne und eine Tasse flogen direkt zu Aedan und schenkten ihm ein. Aedan musste lachen und bedankte sich bei Rodric, bevor er den heißen Kaffee zu trinken begann. Er spürte, wie das warme Getränk in seinen Magen floss und seine doch noch müden Lebensgeister erweckte. Als er die Tasse leer getrunken hatte, stellte er sie auf der Bar ab und atmete tief durch. Er ging auf das schwarze Brett zu und schaute sich die darauf angebrachten Aufträge an. Sie waren wild durcheinander angebracht worden. Aedan sah viele A-Rang Aufträge und auch einige B-Ränge. C-Rang Aufgaben gab es auch reichlich, doch D-Rang und E-Rang waren schon spärlicher vertreten. Aedan überlegte, welchen Rang er wohl erfüllen könnte und sah sich einige der Aufgaben an. Er sah hochbezahlte Werwolfjagden und Händler, die viel Geld für Vampirzähne boten. Es gab auch Leute, die vermisste Personen suchten oder die schlichtweg jemanden haben wollten, der sie auf einer Reise vor Banditen beschützte. Obwohl Aedan sich dachte, dass er es durchaus mit ein paar Banditen aufnehmen konnte, schaute er sich dennoch die E-Rang Aufträge an, denn all das war neu für ihn und er wollte nichts überstürzen. Ein Auftragsgesuch erregte seine Aufmerksamkeit, weshalb er den Zettel vom schwarzen Brett nahm, um ihn genauer durchzulesen. Die Anfrage stammte von einem Gastwirt, dessen Keller mit einer Rattenplage zu kämpfen hatte. Angeblich hatte eine besonders große Ratte das Kommando und der Gastwirt sprach sogar von einem König der Ratten. Aedan konnte sich zwar nicht vorstellen, dass Ratten einen König haben sollten, aber es gab immerhin einhundert Goldtaler für die Aufgabe. Wie schwer konnte es schon sein ein paar Ratten zu vertreiben?


Ein Rattenkönig was? Das klingt doch fast nach Ratatoskr.“


ICH BIN KEINE RATTE!“ Ratatoskr sprang auf den Tisch, an dem er gerade noch gesessen hatte und wollte gerade seine Pistolen ziehen, als ein schwerer Kartoffelsack aus dem Nichts über ihm auftauchte und auf ihn fiel. Ratatoskr wurde auf den Tisch gedrückt und konnte sich nicht mehr bewegen. Der Magier, der dafür verantwortlich war, hieß Deimos und war ein gutaussehender Mann, der schwarze Locken und einen Drei-Tage-Bart hatte. Er trug eine knielange,grüne Robe, über der er eine leichte Lederrüstung trug. Über seiner Schulter hing ein Bogen, aber kein Köcher oder Pfeile, denn Deimos‘ Magie waren mächtige Beschwörungszauber. Im Kampf rief er meist einen Golem aus Eis oder Erde und beschoss seinen Feind mit magischen Pfeilen. Er brauchte eigentlich nicht einmal einen echten Bogen, doch er sagte, dass er cool damit aussah. Aedan mochte Deimos, den er noch am vorigen Abend kennengelernt hatte. Deimos hatte ihm viele Geschichten erzählt und Tipps gegeben. Umso geschockter war er, als er erfuhr, dass Deimos einer der wenigen S-Rang Magier der Gilde war.


Spaß beiseite. Du solltest den annehmen. Ist zwar nicht viel Geld, aber beim ersten Mal sollte man nicht gierig sein.“ Deimos biss in ein Sandwich und schaute dabei über Aedans Schulter auf den Auftragszettel.


Bist du sicher? Meinst du nicht, ich könnte auch einen anderen Auftrag annehmen? Ich meine, das ist ein E-Rang...“ Aedan war unsicher. Er konnte es so schlecht einschätzen, welcher Auftrag für ihn richtig war. Ein Auftrag klang leicht, war aber viel zu hoch eingestuft, während ein anderer Auftrag mit niedriger Bewertung unglaublich schwierig klang.


Jeder fängt mal klein an. Und meistens sind diese Aufträge auch um einiges interessanter, als sie auf dem Papier klingen.“ Deimos hatte inzwischen den Kartoffelsack verschwinden lassen, nachdem sich Ratatoskr wieder beruhigt hatte. In diesem Moment kam Anastasia zu Aedan und Deimos.


Hallo ihr beiden. Herzlichen Glückwunsch zu deiner akzeptierten Aufnahme.“ Anastasia umarmte Aedan, den dabei ein angenehmes Kribbeln durch den Körper ging. „Der arme Harvey... Er muss schon so lang warten.“ Anastasia schaute mitleidig zu Harvey, der sich gerade ein Spiegelei gönnte.


Ich hab gehört, dass die Schule, auf der er angeblich war, die angeforderten Dokumente nicht schickt.“ Deimos zuckte mit den Schultern. „Harvey meinte er kann sich das selbst nicht erklären, denn normalerweise seien die Posteulen sehr zuverlässig.“ Bei dem Wort Posteulen drehte Deimos mit seinem Finger neben seinem Kopf. Aedan hatte bereits mitbekommen, dass Harvey zwar von allen gemocht, aber als ein bisschen durchgeknallt angesehen wurde.


Und Aedan? Wie ich sehe, hast du deinen ersten Auftrag ausgewählt?“ Anastasia schaute auf den Zettel. „Igitt! Ratten...“ Sie schüttelte sich, doch lächelte sie Aedan schnell wieder an. „Du solltest ihn schnell von Rodric akzeptieren lassen.“ Aedan hatte sich entschieden. Wenn selbst Anastasia ihm riet diesen Auftrag zu erfüllen, dann war es wohl wirklich das Beste, wenn er auf die Anderen hörte. Er ging mit dem Zettel zu Rodric, der gerade einige Teller sich selbst abspülen ließ.


Ich möchte gern diesen Auftrag annehmen.“ Aedan schob den Auftrag über den Bartresen, so dass Rodric ihn sich ansehen konnte.


E-Rang was? Willst wohl erstmal langsam anfangen. Ist genehmigt.“ Ein Stempel kam angeflogen und drückte sich auf das von Aedan zerknitterte Papier. In dem Moment, wo sich der Stempel wieder vom Papier löste und ein dickes, rotes „Akzeptiert“ zum Vorschein kam, rollte sich das Dokument zusammen und wurde mit einem schicken, blauen Band verschnürt. Diese Pergamentrolle wurde Aedan nun von Rodric in die Hand gedrückt, oder besser gesagt durch dessen Magie. „Jetzt musst du zu deinem Auftraggeber gehen und ihm sagen, dass du den Auftrag übernimmst.“ Aedan nickte und machte sich auf den Weg. Er ging an Deimos und Anastasia vorbei, die ihm viel Glück wünschten und selbst Kenji und Ratatoskr unterbrachen ihren neuerlich ausgebrochenen Streit und wünschten ihm gutes Gelingen. Aedan war zwar erst einen Tag bei der Gilde Eisenwald, doch in diesem Moment fühlte er sich, als wäre er schon jahrelang Teil einer großen Familie.


Der Weg durch die Stadt war gar nicht so weit, wie Aedan zuerst dachte. Das Wirtshaus war ganz in der Nähe des Gildengebäudes. Aedan betrat den Schankraum und ihm bot sich ein ähnliches Bild wie im Hauptsaal der Gilde. Mehrere Leute saßen an den Tischen und aßen oder tranken, doch war es hier weitaus ruhiger, als bei Eisenwald. Aedan ging zu dem Wirt, der hinter seinem Tresen stand.


Willkommen im goldenen Blatt. Was darf's sein?“ Der Wirt hielt Aedan für einen Gast, doch änderte sich das schnell, als dieser die Pergamentrolle hochhielt, um zu zeigen, weshalb er gekommen war.


Ich bin hier wegen des Auftrags, der in der Gilde ausgehangen war. Es war die Rede von irgendwelchen Ratten?“


Pssst! Nicht so laut!“ Der Wirt flüsterte und deutete an, dass Aedan ihm folgen sollte. Gemeinsam gingen sie in ein Hinterzimmer, in dem einige Fässer gelagert waren. „Endlich kommt mal jemand. Seit drei Monaten warte ich schon darauf, dass mir jemand hilft. Die Stadtwache interessiert es ja leider nicht, dass ich gezwungen bin, meine Ware in einer Abstellkammer zu lagern.“ Der Wirt war sichtlich genervt und Aedan musste zugeben, dass die Kammer, in der sie sich befanden winzig war. „Also es geht um meinen Keller. Da haben sich Ratten breit gemacht und die haben sowas wie einen König. Bring sie um, vertreib sie, was auch immer, aber mach was!“ Der Wirt öffnete eine Tür, die zu einer Treppe führte und schob Aedan schnell hindurch, bevor er die Tür wieder schloss und hinter Aedan absperrte. Aedan spähte in die Dunkelheit des Kellers und versuchte darin etwas zu erkennen, doch entschied er sich nach kurzer zeit dazu lieber ein wenig Licht zu machen. Er zauberte eine kleine Flamme, die er um seinen Kopf tanzen ließ. Auf diese Weise hatte er genügend Licht, um etwas zu erkennen. Als er die Treppe hinunter gegangen war, traute er seinen Augen nicht. Vor ihm tummelten sich die Ratten und Aedan hatte Mühe den Boden zu sehen. Er krempelte die Ärmel hoch und beschloss die Sache schnell zu erledigen. Er überlegte, wie er es anstellen könnte, die Ratten zu verjagen, anstatt sie zu töten. Da fiel ihm ein leeres Fass auf, dass in der Nähe der Ratten lag. Er begann einen Ring aus Feuer um die Ratten zu zaubern, der die Tiere langsam in das Fass treiben sollte. Zu Aedans Erleichterung funktionierte es und nachdem die letzte Ratte das Fass betreten hatte, konnte er den Deckel schließen und die Tiere einsperren. Auftrag erfüllt und das ganz ohne Komplikationen. Aedan wollte gerade gehen, als plötzlich ein rumpeln durch den Keller ging. Ein weiteres Fass kam angerollt und blieb direkt vor Aedan liegen. Aedan begutachtete das Fass und wollte es gerade anheben, als der Deckel aufsprang und eine Ratte herauskam, die fast so groß wie ein Schäferhund war. Das musste der Rattenkönig sein, von dem der Wirt gesprochen hatte. Aedan machte sich für einen Kampf bereit. Die Ratte suchte nach ihren Artgenossen, doch als sie sie nicht finden konnte, nahm sie Aedan ins Visier. Die Ratte rannte auf Aedan zu und wollte ihn beißen, doch der konnte mit einem Sprung zur Seite ausweichen. Aedan schleuderte einen Feuerball auf die Ratte, die selbst versuchte auszuweichen, doch explodierte die Feuerkugel und das Fell der Ratte ging in Flammen auf. Das Tier rannte panisch umher und prallte gegen einige Fässer, die daraufhin umfielen. Eines der Fässer öffnete sich und eine Ladung Bier ergoss sich über den Boden. Die Ratte wälzte sich in der Flüssigkeit und schaffte es so das Feuer zu löschen. Wütend und mit angesengtem Fell schrie der Rattenkönig Aedan an und rannte los, um Aedan erneut anzugreifen. Doch zu seinem erstaunen musste das Tier feststellen, dass es auf der Stelle rannte. Aedan hatte das Bier gefrieren lassen. Bier war auch nur eine Flüssigkeit und Aedan herrschte über die Elemente. Die Ratte mühte sich nach Leibeskräften ab und kam langsam aber sich an den Rand der Eisfläche gerutscht. Aedan hatte inzwischen ein weiteres Fass geholt und wollte es über die Ratte stülpen, doch in dem Moment, wo er die Ratte fangen wollte, biss sie mit voller Kraft in Aedans Schuh. Die spitzen Zähne schafften es durch das Leder hindurch und Aedan schrie vor Schmerz, als sein großer Zeh in Mitleidenschaft gezogen wurde. Er versuchte das Tier abzuschütteln, doch trat er dabei auf das gefrorene Bier und rutschte selbst weg, sodass er unsanft auf den Hintern knallte. Aedan fluchte, während die Ratte auf einige Fässer sprang. Das Tier setzte zum Sprung auf Aedan an, der nun selbst zur Verzweiflungstat schritt. Aedan manipulierte nun die Flüssigkeiten sämtlicher gelagerter Fässer im Raum. Aus mehreren Fässern schossen Bier, Wein und andere Getränke heraus und stürzten sich auf die ratte, die mitten im Flug getroffen wurde. Das Tier wurde unter den Getränkemassen begraben und Aedan ließ alles gefrieren. Die Ratte quiekte und strampelte, doch das Gefängnis aus Eis war zu stark, als dass sich der Rattenkönig hätte befreien können. Klitschnass nahm Aedan ein leeres Fass und positionierte es so, dass die dicke Ratte hinein krabbeln musste, sobald er das Eis ein wenig lockern würde. Sein Plan funktionierte und kurze Zeit später hatte er zwei Fässer, gefüllt mit Ratten. Gerade als er fertig war, öffnete sich die Kellertür und die Stimme des Wirtes hallte durch den Keller.


Alles klar da unten?“


Ja. Ich hab die Ratten gefangen. Was soll ich mit ihnen machen?“ Aedan schnaufte. Der Kampf hatte ihm doch mehr abverlangt, als er erwartet hatte.


Lass sie stehen! Ich kümmer mich später drum. Du kannst dir deine Belohnung abholen gehen.“ Aedan stieg die Treppe hinauf und schaute in das Gesicht des überrascht wirkenden Wirtes. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie er aussehen musste.


Tut mir leid wegen des Chaos.“ Der Wirt sagte nichts, aber gab Aedan das Pergament, das dieser dem Wirt zuvor gegeben hatte. Das blaue Band hatte nun einen roten Streifen dazubekommen. Das musste das Zeichen sein, dass der Auftrag erledigt worden war. Aedan ging durch den Hauptraum des Wirtshauses und wurde von den Gästen angesehen, als wäre er nicht von dieser Welt. Aedan fühlte sich eklig, so nass, wie er war. Außerdem stank er nach Alkohol. Um seine Belohnung abzuholen musste er zur Königlichen Handelskammer, welche im Palastdistrikt der Stadt war.


Aedan lief an einem der Kanäle entlang, die die Stadt durchzogen und mit Hilfe einer kleinen Flamme erhitzte er die ihn umgebende Luft, die er danach auf magische Weise dazu benutzte, um sich trocken zu fönen. Den Alkoholgestank konnte er auf diese Weise leider nur mäßig bekämpfen. Die Stadt war riesig und man hätte sich leicht verlaufen können, doch am Ende führte jede Straße zum Baum Yggdrasil. Aedan betrat den Festplatz und fand sich wieder mitten in einer Feierlichkeit wieder. Er hatte keine Ahnung, was der Anlass war, doch laut Anastasia feierten die Leute jeden Tag. Einen Anlass brauchten sie nicht, denn für sie war das Leben Anlass zum Feiern genug. Angeblich sollte sich auch der König selbst so gut wie jeden Tag auf dem Festplatz aufhalten, doch selbst wenn er direkt vor Aedan stehen würde, so würde er ihn wahrscheinlich nicht erkennen. Aedan hatte das Bild eines alten, weisen Mannes vor Augen, der mit langen, weißen Haaren und einem ebenfalls langen und weißen Bart, in majestätischer Kleidung und mit einer goldenen Krone auf dem Kopf über den Platz schreiten würde. Zumindest war dies das Aussehen des Königs von Priamor, der als Vasall von Koramar über die Menschen seines Landes herrschte. Anastasia lachte, als Aedan ihr seine Vorstellung erzählte und sagte, dass König Erik von Koramar ein junger Mann, nicht älter als dreißig Jahre alt war, der kurze schwarze Haare besaß und der so gar nicht nach einem weisen Herrscher aussah, wie ihn Aedan sich vorstellte. Aedan schaute sich auf dem Festplatz um, ob er jemanden sehen konnte, der nach einem König aussah, doch letztendlich verlies er den Platz wieder und bog auf die Straße zur Handelskammer ab. Nach einem kurzen Fußmarsch stand er direkt vor dem Gebäude. Aedan hätte auch hier erwartet, dass etwas großes und pompöses auf ihn wartete, doch Unterschied sich die Handelskammer kaum von den Gebäuden, die um sie herum standen. Einzig und allein ein Schild, auf dem eine Krone mit zwei gekreuzten Schlüsseln abgebildet waren, zeigten die Bedeutung dieses Hauses an. Aedan betrat das Gebäude und befand sich in einem Gang, an dessen Ende eine Frau hinter einem Schalter saß. Aedan ging zu dem Schalter und sprach die Dame dahinter an.


Ähm...Entschuldigung? Ich bin hier um eine Belohnung für einen Auftrag abzuholen.“


Nummer ziehen und warten!“ Die Dame sprach mit Aedan, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Stattdessen starrte sie auf etwas direkt vor ihr, von dem Aedan nicht erkennen konnte, was es war, denn der Schalter versperrte ihm die Sicht. Aedan drehte sich um und sah einen Kasten, in dem nummerierte Zettel lagen. Er ging zu dem Kasten und zögerte, bevor er eine Nummer herauszog. Neben dem Kasten waren Stühle, die anscheinend dazu gedacht waren, dass man dort warten konnte. Aedan fühlte sich jedoch, als ob man ihm einen Streich spielen wollte, denn auf den Stühlen saß niemand. Er war der Einzige, der da war. Aedan schaute noch einmal zu der Dame hinter dem Schalter, doch die war immer noch in das vertieft, was sie hinter dem Schalter versteckte. Aedan nahm einen der Zettel aus dem Kasten und sah darauf die Zahl Achtzehn. Er wollte sich gerade hinsetzen, als eine magische Tafel auf der gegenüberliegenden Seite eine Achtzehn in Raum Drei anzeigte. Aedan ging zu der Tür, auf der eine große Drei stand, klopfte und betrat das dahinterliegende Zimmer. Ein älterer Herr saß hinter einem Schreibtisch und stapelte Akten und Dokumente. Aedan setzte sich auf einen Stuhl, direkt vor dem Schreibtisch und wusste nicht, was er tun sollte. Ohne ein Wort zu sagen streckte ihm der Beamte seine Hand entgegen und wartete darauf, dass Aedan ihm die Pergamentrolle überreichte. Aedan gab sie ihm und der Mann öffnete die Schleife.


Name?“ Der Beamte hatte seine Brille aufgesetzt, um den Auftrag besser lesen zu können.

Aedan Cousland.“ Aedan fühlte sich unwohl. Diese ganze Bürokratie war neu für ihn.


Cousland...Cousland...“ Der Beamte kramte in einigen Dokumenten, doch schien er nicht zu finden, was er suchte. „Sind sie schon im Handelsregister?“


Äh...“ Aedans fragender Blick schien als Antwort zu genügen.


Zimmer zwei. Formular Achtundvierzig B ausfüllen!“ Der kurz angebundene Beamte wandte sich wieder seinen Unterlagen zu und Aedan stand verunsichert auf. Er ging aus dem Raum heraus und stand wieder auf dem Gang mit den Stühlen. Er drehte sich zur Tür mit der Ziffer zwei und wollte gerade klopfen, als ein Räuspern ertönte. Die Dame hinter dem Schalter zeigte, mit einem ermahnenden Blick, auf den Kasten mit den Nummernzetteln. Aedan seufzte und zog erneut einen zettel daraus hervor. Darauf stand die Zahl Neunzehn und prompt in diesem Moment änderte sich die Tafel, sodass Aedan bei Zimmer Nummer zwei klopfen durfte. In dem Raum, der identisch zu Zimmer Drei aussah, saß eine Dame, die genau wie alle anderen vorher, kaum Notiz von Aedan nahm. Erst als er näher kam, fragte sie ihn, was er wollte.


Ähm...also...ich soll Formular Achtundvierzig B...“


„Haben sie Formular Vierundzwanzig D dabei?“ Die Beamte sprach mit solch monotoner Stimme, dass es Aedan unglaublich irritierte.


Äh...Formular was?“ Aedan fragte sich, ob es jedes Mal so ein Aufwand war einen Auftrag auszahlen zu lassen.


Formular Vierundzwanzig D. Draußen am Schalter.“ Damit war auch dieses Gespräch wieder beendet und Aedan, der bereits leicht genervt war, ging wieder nach draußen zum Schalter. Er wollte gerade anfangen zu sprechen, als die Dame hinter dem Schalter wortlos auf den Kasten zeigte. Aedan wollte zuerst protestieren, doch dann ging er langsam zu dem Kasten. Provokativ und melodramatisch zog er einen Zettel heraus und drehte sich zu der Tafel, die in diesem Moment anzeigte, dass er zum Schalter durfte. Aedan ging zu der Dame, die nun wieder kaum Notiz von ihm nahm.


Ich brauche Formular Vierundzwanzig D, um damit Formular Achtundvierzig B zu beantragen.“ Aedan zwang sich zu lächeln, doch er war sich sicher, dass es mehr eine Grimasse wurde. Die Dame am Schalter sah es nicht, denn ohne Aedan anzusehen zog sie ein Klemmbrett hervor, klemmte einige Dokumente darauf fest und gab das Ganze zusammen mit einem Stift an Aedan. Der setzte sich auf einen der Stühle und begann die Dokumente auszufüllen. In diesem Moment öffnete sich die Tür der Handelskammer und ein Mann trat ein. Aedan bemerkte das Aussehen dieses Mannes. Der knielange blaue Mantel war aus teurem Seidenstoff und mit goldenen Ornamenten verziert. Auf dem Kopf des Mannes befand sich ein Dreispitzhut mit einer langen Pfauenfeder. Dieser Hut saß auf einer Haarpracht, die so lockig und weiß war, dass es nur eine Perücke sein konnte. Niemand hatte so perfekt gerollte Locken, die ihm bis zur Schulter reichten, auf natürliche Weise. Dieser anscheinend zum Adel gehörende Mann trat an den Schalter heran und das Verhalten der Dame änderte sich schlagartig.


Mein Herr...Was kann ich für Sie tun?“


Ich muss unverzüglich sämtliche Abrechnungen der letzten achtzehn Jahre einsehen.“ Die Dame schaute den Adligen ungläubig an, doch dann verneigte sie sich vor ihm.


Natürlich Herr. Wenn ihr mir folgen wollt.“ Die Schalterdame ging voraus und der Adlige folgte ihr.


Hey! Und was ist mit... mir?“ Aedan wollte protestieren, doch die beiden waren bereits verschwunden. Er saß nun allein mit einem Berg aus Formularen in einem leeren Gang. Aedan seufzte und wartete, bis die Dame zurückkehrte. Er wusste nicht, wie lang er gewartet hatte, doch als die Frau wieder an ihrem Schalter Platz genommen hatte, schrak Aedan aus einem Halbschlaf hoch. Er stand auf und wollte gerade seine Formulare abgeben, als die Schalterdame erneut auf den Kasten zeigte. Aedan ging zu dem Kasten, zog einen Zettel und ohne auf die Nummer oder die Tafel zu schauen ging er direkt zu der Frau am Schalter. Die Beamte gab ihm im Tausch gegen die Formulare einen Zettel mit, mit dem er nun wieder in Zimmer zwei gehen sollte. Im vorbeigehen zog Aedan einen Zettel aus dem Kasten und ohne zu warten oder zu klopfen, betrat er Zimmer Zwei. Er ging direkt auf die Dame hinter dem Schreibtisch zu und drückte ihr den Zettel in die Hand. Die Frau schaute ihn nun mit großen Augen an und brauchte einen Moment, um zu realisieren, was Aedan wollte. Nach kurzer Zeit gab sie ihm schließlichd as ersehnte Formular, mit dem Aedan schließlich wieder in Zimmer Drei ging, nicht ohne vorher natürlich eine neue Nummer zu ziehen. Der ältere Herr in Zimmer Drei nahm das Formular entgegen, prüfte alles und füllte nun selbst einige Dokumente aus. Aedan saß währenddessen ungeduldig auf dem Stuhl. Endlich holte der Beamte einige Münzen aus einem Tresor und füllte sie in einen Beutel.


Bitteschön. Ihre zehn Taler.“ Der Beamte legte den Beutel vor Aedan auf den Tisch. Der saß nur da und fühlte sich wie vom Blitz getroffen.


Entschuldigung? Zehn? Der Auftrag war mit einhundert Talern ausgeschrieben. Ich glaube da liegt ein Missverständnis vor.“ Aedan war sich sicher, dass da ein Fehler vorlag.


Oh nein, ganz und gar nicht.“ Der Beamte setzte nun wieder seine Brille auf und legte Aedan eine Rechnung vor, die er nun zu erklären versuchte. „Der Auftrag hat durchaus einhundert Taler als Bezahlung vorgesehen, doch bezieht sich dieser Wert auf den Betrag VOR Abzug aller Steuern und Sozialleistungen.“ Aedan verstand gar nichts. Sein Gesicht schien dem beamten genau diese Nachricht zu vermitteln, weshalb er nun die einzelnen Posten erklärte. „Von den einhundert Talern müssen noch neunzehn Prozent Einkommenssteuer abgezogen werden. Dazu kommen elf Prozent Heilerversicherung, im Fall, dass Sie einen Heiler aufsuchen müssen. Sechs Prozent Sozialversicherung, sowie sieben Prozent Rentenbeiträge, damit Sie Rente erhalten, sobald Sie zu alt sind um ihrem Beruf nachzugehen. Dann haben wir dreizehn Prozent Reparationspauschale, damit etwaige Schäden ihrer Magie behoben werden können und noch einmal sechs Prozent Magiesteuer. Zu guter Letzt kommen noch einmal acht Prozent Verwaltungskosten dazu.“ Aedan wurde schlecht. Diese ganzen Zahlen wirbelten in seinem Kopf herum. Er dachte, dass er genau die Summe erhalten würde, die auch auf dem Auftrag ausgeschrieben war. Ihm fiel jedoch etwas auf.


Moment! Nach dieser Rechnung müssten aber dreißig Taler übrig bleiben. Ich bekomme aber nur zehn.“ Aedan hatte Hoffnung, dass sich der Beamte vielleicht nur verrechnet hätte.


Das stimmt, doch zwanzig Taler haben wir einbehalten, da Sie noch ins Handelsregister aufgenommen werden müssen. Mit diesen zwanzig Talern ist die Aufnahmegebühr gedeckt. Den Beutel schenken wir Ihnen, aber beim nächsten Mal bringen Sie bitte ihren eigenen mit, sonst muss ich Ihnen den auch in Rechnung stellen.“ Aedan griff sich an den Kopf. Er konnte es nicht glauben. All der Aufwand für zehn Taler. Er nahm den Beutel und machte sich auf den Weg zurück zur Gilde. Er war enttäuscht, doch auch fest entschlossen besser zu werden, um besser bezahlte Aufträge anzunehmen. Zumindest hatte er heute etwas über die Bürokratie von Koramar gelernt.




Fortsetzung folgt


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